Von „Brücken“ und „Komplizen“: Das Interview zum Lernbrücken Projekt mit Michael Siegel – Teil 2

Georg

Lieber Micha, wie sieht denn ein klassischer Arbeitstag einer LernkomplizIn bei den LernBrücken aus? Was passiert als Erstes, wenn ein junger Mensch nach Unterstützung fragt?

Das würde ich gern getrennt beantworten, erstmal zur zweiten Frage: Am Anfang steht immer ein Erstgespräch, bei dem es darum geht, Bedarfe der SchülerInnen und deren Familien zu finden, die bisher schulisches Lernen erschwert oder ganz abgeschlossen haben. Gemeinsam wird dann vereinbart, was passieren muss, um wieder Anschluss zu finden und gut aus der Krise zu kommen. Im Prinzip ist das so etwas wie eine Zielformulierung. Der Alltag von einem Lernkomplizen ist aber grundsätzlich sehr individuell, da kann man eigentlich wenig generalisieren. Aber ich würde mal ein Beispiel-Arbeitstag für unsere Lernkomplizin „xy“ skizzieren.

Unser Lernkomplize hat zum Beispiel am Tag zwei Termine mit Kindern. Im ersten Teil des Treffens findet ein Treffen mit einer Schülerin beispielsweise auf dem Sportplatz statt. Das Treffen wurde vereinbart, um sich nach dem Erstkontakt ein bisschen besser kennenzulernen und dabei auf einen, den Jugendlichen bekannten Ort zurückgreifen zu können. Anschließend schauen sie gemeinsam die Schulmappe durch, die die Schülerin mitgebracht hat und überlegen, an welchen Stellen etwas erneuert oder verbessert werden kann oder wo etwas sortiert oder nachgearbeitet werden müsste.

Beim nächsten Treffen am gleichen Tag ist unsere Lernkomplizin mit einem Schüler zur Nachhilfevermittlung verabredet. Die beiden kennen sich also schon und treffen dann gemeinsam einen Partizipationslotsen der Beteiligungsfüchse, der die Nachhilfe zunächst schnell und unkompliziert übernehmen kann. Es findet also eine Übergabe statt, auch um gemeinsame Ziele zu vereinbaren. Dann hält die Lernkomplizin Rücksprache mit der pädagogischen Koordination des Projektes, also mir. Am Freitag treffen wir uns dann immer zu einem Koordinationstreffen, mit der Möglichkeit auch eine klassische Fallberatung durchzuführen. Wir haben deshalb auch die kollegiale Beratung als Methode eingeführt.

Wow, das klingt spannend und alles sehr schön. Gab oder gibt es denn auch Herausforderungen im Programm LernBrücken?

Eine Schwierigkeit, die sich gleich am Anfang stellte, war, dass das Programm keine Anlaufzeit vorsieht. Schon von Anfang an mussten 35 Angebotsstunden pro Schule und Woche geleistet werden. Jedoch waren wir in der ersten Woche mit der Schulung und Einarbeitung der Lernkomplizen beschäftigt. Hierfür konnte leider keine sachorientierte Lösung gefunden werden. Eine weitere Herausforderung ergab sich mit der Weiterförderung nach sechs Wochen im Programm. Die im LernBrücken-Programm veröffentlichten Fördergrundsätze vermittelten den Eindruck, dass die Hilfen mindestens bis zum Ende im Oktober 2020 finanziert werden können bzw. gemäß dem Rahmen-Weiterleitungsvertrag sogar bis Ende des Jahres. Etwas Verwunderung verursachte die jeweils auf sechs Wochen begrenzte Dauer eines Bildungsangebots innerhalb der LernBrücken. Was sollten wir den im Projekt angedockten SchülerInnen und ihren Familien sagen, wenn wir nach sechs Wochen die lebensweltliche und auf Vertrauen beruhende Unterstützung plötzlich wieder beenden müssen. Ganz zu schweigen von den im Projekt engagierten Menschen, denen auch wenigstens ein Mindestmaß an Planungssicherheit zugestanden werden sollte. Wir beschlossen, aufgrund der Relevanz und dem Bedarf an schneller und lebensweltlich orientierter Hilfe durch die LernBrücken für junge Menschen und deren Familien im Kiez, das Projekt dennoch umzusetzen. Wir vertrauten dabei auf die Ausgestaltung des Programms, denn aus unserer Sicht ist es gerade die lebensweltlich orientierte Hilfeform, die die SchülerInnen und ihre Familien erreicht. Ein Unterschied im Übrigen zum “Sommerschulprogramm”, dem zweiten größeren Programm zur Unterstützung von SchülerInnen in der Corona-Krise, das sich mit seinem rein auf schulischem Fächerlernen ausgerichteten Fokus ganz anders darstellt und mit dem sich viele SchülerInnen nicht leicht anfreunden dürften.

Gerade war die Rede vom „Sommerschulprogramm“. Aber die Lernbrücken laufen doch auch über die Ferien, oder? Wie wird es da weitergehen?

Grundsätzlich sollte das Programm bis mindestens nach den Herbstferien im Oktober 2020 laufen, wie wir im Förderantrag erfahren konnten. Wir haben letzte Woche nun vom Programmträger gehört, dass die ersten 3,2 Millionen Euro für das Programm bis zum Ende der Sommerferien ausgeschöpft sein werden und weitere 2 Millionen Euro für das Programm beantragt wurden. Wir hoffen, dass wir nicht mehr kurzfristig über eine mögliche Beendigung des Programms erfahren, sondern dass es dafür einen Vorbereitungszeitraum von mindestens vier Wochen gibt, um alle aufgebauten Beziehungen sinnvoll beenden zu können oder Hilfen und weitergehende Bedarfe weiterleiten zu können. 

In den wöchentlichen Austauschrunden (Koordinierungs- und Fallrunden) geht es aktuell darum, für die Ferien ein Angebot bereitzustellen, das auch kleinere und für die Corona-Zeit geeignete Freizeitaktivitäten beinhaltet. Hier wurden bereits Ideen gesammelt. Gerade wird ein Freizeit-Tag auf der Sportanlage Scharnweber Straße geplant. Die sehr weitläufige Sportanlage bietet hierfür vielfältige Möglichkeiten, spielerisches Lernen mit Freizeitaktivitäten zu verbinden. Das Sportamt wurde hierzu schon angefragt. Mit dem dafür notwendigen Hygienekonzept wenden wir uns noch an das Gesundheitsamt im Bezirk. Das Konzept für den Tag wird gerade von den Lernkomplizen erstellt. Für interessierte SchülerInnen aus dem Programm von unserer Oberschule sind einige Besuche zur Berufsorientierung geplant. So arbeitet eine der Lernkomplizinnen als Rettungsassistentin. Zurzeit werden Besuche in der Leitstelle des Rettungsdienstes, bei einer Sicherheitsfirma und in einer Tierpflegestation geplant. Dieses Engagement ist als Idee zur Steigerung der Motivation geplant, an schulischen Bildungszielen auch wieder anknüpfen zu wollen. Die Erfahrungen der SchülerInnen waren für sie teilweise sehr frustrierend, wenn sie bemerkten, dass sie teilweise oder gar nicht mit den meisten in der Klasse mithalten konnten.

Lieber Micha, vielen Dank! Hast du ein kleines Zwischenfazit für uns?

Über das Programm ist geschafft worden, was angesichts der Corona-Krise noch dringender gebraucht wurde als sonst. Es wurden die oftmals kleinen Herausforderungen im Alltag ausfindig gemacht, die Familien als Hürde nicht ohne Hilfe überspringen konnten. Es wurden Hoffnungen geweckt und mit viel Herzblut und Engagement Beziehungen zu SchülerInnen und Familien aufgebaut. Für die rund 100 SchülerInnen der Max-Beckmann-Oberschule und der Hausotter-Grundschule hoffen wir, dass das aus unserer Sicht hochwirksame Programm noch bis zum Programmende und vielleicht sogar darüber hinaus weitergeführt wird – es wäre vielen SchülerInnen und ihren Familien zu wünschen.